ANNO DAZUMAL - TEIL III

ZIMMERMANN FLEISCHWERKE; BERNDORF 

DIE ZWANGSARBEITERKARTEI

VON DIETMAR HOLZINGER

Amtsleiter Gregor Gerdenits

Enzesfeld-Lindabrunn – Anfang April 1945: Ostern wird gefeiert - aber mit viel Trauer und Leid, es sind wohl die blutigsten Feiertage, die das Triestingtal je erlebte. Die „Todeswalze der „Roten Armee“ rollt unaufhaltsam durch das Tal. Im munitionserzeugenden Enzesfeld herrscht Katastrophenstimmung, die Zivilbevölkerung zittert einerseits vor der abrückenden schwer angeschlagenen Wehrmacht, die in ihrem Machtrausch vor nichts zurückschreckte und der anrückenden Sowjetarmee. In Enzesfeld wurde der „Volkssturm“ bestehend aus alten Männern und kindlichen Buben zur Verteidigung herangezogen. Der Kommandant dieser Truppe war der Bürgermeister – NSDAP Ortsgruppenleiter und Direktor der Metallwerke Karl Gschiel, der „BIG-NAZI“ war an mindestens sechs Ermordungen an Zwangsarbeitern beteiligt. Noch bevor die Russen Enzesfeld „befreiten“, flüchtete der Herr Bürgermeister Richtung Kärnten (…). Die noch im Ort verbliebenen Nazischergen hatten alle Hände voll zu tun, tonnenweise wurden Akte vernichtet, noch schnell Hinrichtungen vollzogen und Leichen in Massengräbern beseitigt. Ein großes Problem waren nun die „Arbeitslager“ im Gemeindegebiet, hunderte geschundene Leiber, warteten nun auf ihre Befreiung! Um den 1. April konnte sich eine Gruppe griechischer Arbeiter durch den Stacheldraht in Freiheit flüchten. In ihren Lager-Karteikarten wurde noch vermerkt „ohne polizeiliche Abmeldung entfernt“.

Auch im Gemeindeamt ist emsig Beweismaterial vernichtet worden. In der sogenannten „Zwangsarbeiter-Kartei“ waren die „Lager-Menschen“ aufs penibelste erfasst. Die Aufzeichnungen beinhalten aber nur die Lager im Ortsgebiet Enzesfeld-Lindabrunn. Alles war da eingetragen bis zur Hinrichtung! Die brisanten Akte wurden ins Freie geschleppt und in ein Erdloch geworfen – sie sollten angezündet, vergraben oder gesprengt werden, aber dazu kam es nicht mehr. Am Dienstag, dem 3. April 45 besetzte die „Rote Armee“ Enzesfeld und Unbekannte retteten die Kartei, die Kunde über die Menschen aus den Lagern I bis III, sowie über Zivilarbeiter in Subwohnstätten geben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind auch die verbliebenen Zwangsarbeiter von russischen-Truppen befreit worden.

Juli 2022 im neuen Rathaus zu Enzesfeld: Amtsleiter Gregor Gerdenits, der sich seit einigen Jahrzehnten mit dem Archiv beschäftigt; begrüßt mich in seinem Reich. Wir steigen hinab in die Archivräume und da, in einer Ecke, steht ein versperrter Stahlschrank, der die „Sklavenarbeiter-Kartei“ enthält.

„Sein Inhalt besteht aus über 20.000 Namen von Zwangs,- bzw. Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen, aus 23 Nationen, die in der Munitionserzeugung, im Tunnel- und Bunkerbau, sowie im geheimnisumwobenen Luftwaffenlager im Thalleitenwald schufteten“, erzählt Gerdenits. Viele der Karteikarten sind noch nicht erforscht, haben noch ihre eigenen Geheimnisse, wie der Akt des evangelischen Priesters Johannes Albrecht, geb. 2. 8. 1908 in Ungarn, der von dem 550 km entfernten Bautzen (Sachsen) am 27. 2. 45 in Enzesfeld eintraf und schon am 5. 3. 45 nach Winzendorf weiter transportiert wurde, was ist weiters mit dem Pfarrer geschehen?

Im April 1944 dürften die Kruppwerke Mangel an „Arbeitssklaven“ gehabt haben, so wurden russisches Menschenmaterial am 18. 4. 44 ins Lager-Berndorf geliefert. Laut Zeitzeugen sollen 1943 beim Frauentalkreuz (Übergang von Linderbrunn nach Enzesfeld) russische Arbeiter wegen Sabotageverdacht gehängt worden sein. Eine mit Schreibmaschine erstellte Liste vom Jänner 1947 bekundet über meist erschossene Zwangs- bzw. Zivilarbeiter, die am, oder um den Enzesfelder-Friedhof bestattet sind – auf dem Papier steht ganz unten links – handgeschrieben – etwas Schreckliches - „26 Kinder von Ostarbeitern“ – gemeint dürfte mit diesem Eintrag sein, dass vor dem Gottesacker, 26 kleine Seelen ohne Namen und ohne Grabstein zur ewigen Ruhe gebettet wurden?!

Manche Nationen holten ihre verstorbenen bzw. ermordeten Landsleute nach Hause, so wie die französische Militärmission, die am 2. Dez. 1947 sechs franz. Staatsangehörige (Kriegsgefangene und Zivilarbeiter) am hiesigen Ortsfriedhof zum Abtransport in die Heimat exhumierten.

Viele Rätsel, viele Schicksale beherbergt noch diese Kartei, und Gregor Gerdenits ist bemüht, so manche Geschichte des „Archivs der Zwangsarbeit“ dem Vergessen zu entreißen …

DANKE AN:

Bürgermeister Franz Schneider und Amtsleiter Gregor Gerdenits / Enzesfeld-Lindabrunn

LITERATUR:

NOTRATIONEN - M. Kainig-Huber / R. Doria

CHRONIK, ENZESFELD-LINDABRUNN – M. Kainig-Huber / J. Neitz

DER

FRIEDHOFSGUCKER

https://www.tridok.at/der-friedhofgucker/

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